Unnötige Last?
Vergangenen März waren es sechzig Jahre her, dass die erste Gruppe von Theologiestudenten der neugegründeten „Theologischen Schule“ von São Leopoldo ihr Schlussexamen ablegte. Wir waren sechs Kandidaten, die schon zu Anfang des Jahres zum Examen zugelassen wurden. Ausser . H-G. Naumann (der dann noch Pädagogik studierte) und mir waren es noch Edgar Liesenberg, Erdmann Götz, Albino Trein und Johannes Blümel, letztere vier heute schon verstorben - aus Dienst und Leben abberufen. Requiescant in pace Dei! Mögen sie in Gottes Frieden ruhen!
Ich erinnere mich noch genau an die Formatura-Feier, bei der wir mit Dozenten und Familien samt persönlichen Freunden in der Aula des Proseminars versammelt waren. D. Dohms, unser Rektor, hielt eine besinnliche Ansprache, in der er ein Gedicht zitierte, das er offenbar von seiner Studienzeit her auswendig konnte:.- Ein Pfarrer hat einen Traum, der mehr und mehr zum Albtraum wird. Er träumt, er ziehe an einem heissen Tag einen Wagen auf einer staubigen und löcherigen Strasse. Als es ihm zu schwer wird, bittet er die Vorsteher und anderen Mitarbeiter, mit zuzufassen und den Wagen mit vereinten Kräften schieben zu helfen. Es geht eine Weile gut, doch dann wird der Wagen dem armen Pastor wieder schwerer und schwerer, bis er stehenbleibt und zurückschaut. Da sieht er zu seinem Erstaunen, dass alle seine Mitarbeiter in den Wagen geklettert sind und sich von ihm ziehen lassen. Das Gedicht schloss mit dem Vers: „Und so zieht er den schweren Karren und wird gehalten für einen Narren“.
Ich entsinne mich noch, wie Dohms dann sagte: Und er ist wirklich ein Narr, wenn er sich darauf einlässt, den Wagen alleine ziehen zu wollen, und wenn es ihm nicht gelingt, andere willig zu machen, an seiner Seite in die Radspeichen zu greifen und die Dinge bewegen zu helfen. Er gab uns dann folgenden Rat, und seine Worte haben sich mir tief eingeprägt: „Ich rate euch“, sagte er, dem Sinne nach, „haltet in eurem Amt hin und wieder inne, schaut zurück und stellt fest, ob ihr nicht eine falsche und unnötige Last zieht, nicht nur was Mitarbeiter betrifft, sondern auch in Bezug auf Dinge, Traditionen und Gewohnheiten. Die unnötigen und falschen Lasten sind es, die uns kaputt machen!“
Ich habe den Ratschlag unseres geschätzten Präses nicht mehr vergessen. Ich wollte heute, ichhätte mich mehr danach gerichtet. Ich glaube, die Amtsmüdigkeit und Kirchenverdrossenheit bei manchen Pfarrern, Vorstehern und Mitarbeitern hat da ihren tiefsten Grund. Warum ist es heute so schwer, Kandidaten für ein Vorsteheramt zu finden? Sie haben Angst vor der Last, die sie glauben schleppen zu müssen. Aber das Joch Christi ist doch sanft, und seine Last leicht! Soll die Verheissung Jesu heute nicht mehr gültig sein?
Haben wir, die wir den Wagen der Kirche ziehen, schon erkannt, dass es eine freudige und beglückende Sache sein kann, wenn es uns gelingt, eine Gemeinde mit dem Wort Gottes in Bewegung zu setzen, wobei dann wirklich alle mitziehen, - zu erfahren, dass das Evangelium keine Last ist, sondern der Motor, der uns überhaupt die Kraft gibt, den Wagen zu bewegen? Dass der Wagen wohl eher mit mühseligen und leidenden Menschen beladen sein sollte als mit gewichtigen Repräsentanten von Machtgruppen, Richtungen iund Traditionen!
Der Ratschlag unseres alten Lehrers - Dohms wurde ja dann später auch zum Architekten der IECLB - sollte uns ein Anlass sein, ganz wortwörtlich anzuhalten und zurückzuschauen. Vielleicht können wir es nur mit Seufzen und Gebet tun, aber darin liegt ja dann mehr Verheissung als im Stöhnen über Lasten, die Gott uns vielleicht garnicht auferlegt hat.